„Die Zahl ist die Substanz der Welt“ –                            Giordano Bruno und die Grundlagen der modernen Wissenschaft

Die Wurzeln der neuzeitlichen Naturwissenschaft liegen in der Renaissance, in einer Zeit, in der man begann, die Rolle der Mathematik für die Erkenntnis und auch die Nutzung der Natur wieder neu zu erkunden. Die Schriften des italienischen Philosophen Giordano Brunos (1548-1600) gaben bei diesen Überlegungen ganz wesentliche Impulse.

 

Seinen Bekanntheitsgrad verdankt der italienische Renaissancephilosoph wohl nicht zuletzt den tragischen Umständen seines Todes: Am 17. Februar 1600 wurde er, als Ketzer verurteilt, bei lebendigem Leib öffentlich auf dem Campo dei fiori in Rom verbrannt. Doch dies war nur der Höhepunkt eines bereits lange währenden Konflikts: Der Dominikanermönch Bruno war den kirchlichen Behörden schon seit geraumer Zeit ein Dorn im Auge.

 

Ein Leben auf der Flucht

 

Bereits früh, im Alter von 17 Jahren, war der junge Bruno in das Dominikanerkloster in Neapel eingetreten, für den aus armen Verhältnissen stammenden Jungen nahezu die einzige Möglichkeit, einen Zugang zu den damaligen Bildungsinstitutionen zu erlangen. Doch von einem friedlichen Mönchsleben konnte bei Filippo, der als Mönch den Ordensnamen Giordano annahm, nicht die Rede sein: Mit seiner kritischen Haltung gegenüber manchen christlichen Vorstellungen hielt er keineswegs hinter dem Berg, und als bei seiner Abwesenheit in seiner Zelle sogar Texte gefunden wurden, die auf dem Index der verbotenen Bücher standen, wurde für ihn die Lage äußerst prekär. Keinesfalls kann er nun noch ins Kloster zurückkehren, und so beginnt für ihn eine Flucht durch halb Europa, in deren Verlauf er immer wieder Schriften publizieren wird, in denen er seinen philosophischen Gedanken Ausdruck verleiht.

    Auf seinem Weg gelangt Bruno in fast alle europäischen Metropolen der damaligen Zeit; er geht in das vom Reformator Johannes Calvin geprägte Genf, dann nach Paris, wo die religiösen Auseinandersetzungen zwischen Katholiken und Protestanten kurz zuvor in der „Bartholomäusnacht“ einen gewalttätigen Ausbruch gefunden hatten, in das London Shakespeares und Elisabeths I., in die Lutherstadt Wittenberg, wo ihm die liberale Universität Asyl gewährt, und auch an die Universität Tübingen [mehr...] . Im hessischen Frankfurt, das schon in dieser Zeit durch seine alljährlichen Messen ein Zentrum der Buchherstellung und des Buchhandels war, beschließt er, eine Gruppe von drei lateinischen Werken drucken zu lassen, in denen er zum ersten Mal versucht, seine Philosophie, sein Konzept von der Welt systematisch zusammenzustellen, die sogenannte „Frankfurter Trilogie“. Bruno konnte noch nicht ahnen, dass dies die letzten Bücher sein sollten, die er veröffentlichen konnte. Auf Einladung eines Adligen läßt er sich nach Venedig locken, wo er gefangengenommen und dem Heiligen Offizium übergeben wird. Nach jahrelanger Kerkerhaft, Verhören und Folter wird man ihn schließlich zum Tod verurteilen und hinrichten.

 

Brunos „De monade, numero et figura

 

Brunos „Frankfurter Trilogie“ stand im Zentrum eines Projekts, an dem ich zusammen mit Prof. Dr. Wolfgang Neuser Prof. Dr. Erhard Wicke einige Jahren arbeitete. Ziel des Projekts war es, das naturphilosophische Konzept, das Bruno in seinen drei Hauptschriften entfaltet, darzustellen und der philosophie- und wissenschaftshistorischen Forschung zugänglich zu machen. Die lateinischen Texte wurden ins Deutsche übersetzt und mit umfangreichen Kommentaren und Erläuterungen versehen, so dass der interessierte Leser sich relativ leicht in die Gedankenwelt des italienischen Denkers einarbeiten kann. 

 

Die Unendlichkeit der Sprache

 

In seiner Zeit in Wittenberg

 

Das Wagnis, die Unendlichkeit zu denken - ein modernes Problem

 

Die Fragen, die im Mittelpunkt von Brunos Frankfurter Schriften stehen, sind gar nicht so verschieden von denjenigen, die auch heute noch die Naturwissenschaft stellt: Wie können wir ein unendliches Universum denken? Was sind die kleinsten Bestandteile der Welt? Und was verbindet Kleinstes und Größtes, Atom und Universum? Kurz: Welche einheitliche Ordnungsstruktur können wir in der Natur finden? Als ein für seine Zeit typischer Denker steht Bruno mit einem Bein noch in mittelalterlichen, von theologischen Fragestellungen geprägten Diskussionen, während er andererseits Überlegungen darüber anstellt, ob alle natürlichen Erscheinungen, von den atomaren Strukturen bis hin zu den kosmischen Phänomenen, nicht auf ein mathematisch-geometrisches Fundament gegründet seien. So entwirft Bruno ein Bild von der Natur, die dem Menschen gerade durch ihre „Zahlhaftigkeit“ zugänglich wird; denkt man dies aber konsequent zu Ende, so stößt man sowohl im unendlich Kleinen wie auch im unendliche Großen letztendlich auf das, was Bruno die „Monade“ nennt: eine Einheitsstruktur, die allem, was die Natur im Zwischenbereich zwischen Atom und Universum hervorbringt, erst seine zahlenhafte Substanz gibt.

 

Ein Visionär der neuzeitlichen Wissenschaft

 

Die Konsequenzen, die Bruno aus seinen philosophischen Überlegungen zog, waren ohne Frage revolutionär. Nicht nur, daß Bruno die Frage, ob denn nun die Sonne oder die Erde im Zentrum des Universums stehe – die Frage also, die im wenige Jahre später stattfindenden „Fall Galilei“ ein heißes Eisen wurde –, ad absurdum führt: Es macht keinen Sinn, in einem unendlichen Universum einen Punkt als Mittelpunkt zu bestimmen. Nein, seine Visionen lieferten auch wichtige Impulse für die wissenschaftlichen Fortschritte am Beginn der Neuzeit: Mit seinem mathematisch-geometrischen Naturkonzept ahnt Bruno bereits, daß Mathematik und Geometrie nur zwei Ausdrucksformen ein und derselben Sache sind, eine Traditionslinie, auf der René Descartes kurz darauf zur Entdeckung des Koordinatenkreuzes gelangen wird. Und auch die von Isaac Newton und parallel dazu von Gottfried Wilhelm Leibniz entwickelte Infinitesimalrechnung schließt sich an Brunos radikale Frage nach dem Unendlichen an. Es ist also nicht übertrieben, Bruno als einen Visionär der modernen Naturwissenschaft zu bezeichnen. Für jeden, der die heutige Wissenschaftswelt verstehen will, sind Brunos oft in einer dichterischen, eruptiven Sprache vorgetragene Ideen, ein wertvolles Dokument.