Anna Maria van Schurman (1607-1678)

Anna Maria van Schurman war schon zu Lebzeiten eine der berühmtesten Frauengestalten im Europa des 17. Jahrhunderts. Geboren wurde sie am 5. November 1607 in Köln. Sie war das Kind eines niederländischen Vaters, der wegen der Religionskonflikte aus den Niederlanden geflohen, und einer aus dem Rheinland stammenden deutschen Mutter und verbrachte so die ersten Lebensjahre in Deutschland, ab etwa 1615 lebte sie in Utrecht.

 

Vielseitige Hochbegabung

 

Früh wurde ihre immense wissenschaftliche und auch künstlerische Begabung erkannt und zunächst vom Vater, dann von dem Leidener Theologieprofessor André Rivet (1572-1651) und dem an der Utrechter Universität lehrenden Theologen Gisbert Voetius (1589-1676) intellektuell gefördert. Der niederländische Nationaldichte Jcob Cats (1577-1660) verfasste schon früh ein Lob auf ihre künstlerischen und dichterischen Fähigkeiten [mehr]. Van Schurman machte vor allem im Jahr 1641 von sich reden, als sie ihr im Stil einer lateinischen Dissertatio verfasstes Plädoyer für Frauenbildung (Dissertatio de ingenii muliebris ad doctrinam et meliores litteras aptitudine, Leiden 1641) veröffentlichte. Die Abhandlung, in der nichts weniger als der Zugang von Frauen an die höhere Bildung an Universitäten gefordert wurde,  fand europaweit Resonanz, eine erste (anonym erschienene) englische Übersetzung wurde 1659 in London auf den Markt gebracht.

 

Briefliche Kontake mit Intellektuellen

 

Van Schurman knüpfte vor allem durch Briefe - die sie unter anderem auf Latein, Altgriechisch, Hebräisch oder Französisch schrieb - ein Netzwerk mit den europäischen Intellektuellen ihrer Zeit.So pflegte sie unter anderem  Kontakte zu dem Philosophen René Descartes (1596-1650), der sie in Utrecht auch persönlich traf, zu Pierre Gassendi (1592-1655), einem französischen Naturforscher, der die moderne Naturwissenschaft durch eine materialistische, auf der antiken Atomtheorie basierenden Philosophie vorbereitete, zu Marin Mersenne, der eine wichtige Kommunikations- und Schaltstelle für die europäische Wissenschaft des 17. Jahrhunderts bildeten und selbst mit seiner Musiktheorie wichtigen Einfluss auf das Denken seiner Zeit nahm, oder zu dem niederländischen Politiker und Dichter Constantijn Huygens (1596-1687), der wiederum eng mit René Descartes befreundet war und das kulturelle Leben der Niederlande stark prägte. Die Briefe van Schurmans waren dabei vielfach regelrechte Abhandlungen über wissenschaftliche, meist philosophische oder theologische Themen und wurden daher später auch in ihre Werkausgabe aufgenommen. Es ist daher auch wenig verwunderlich, dass van Schurman von ihrem Mentor Voetius aufgefordert wurde, ein lateinisches Einweihungsgedicht zu verfassen und vorzutragen, als im Jahr 1636 die Universität Utrecht eingeweiht wurde. Und van Schurman nutze auch hier die Gelegenheit, neben aller Freude über die neue Bildungsinstitution Kritik am Ausschluss der Frauen von akademischer Bildung zu üben.

 

Frauennetzwerke

 

Besonders auch zu Frauen in verschiedenen Ländern Europas hielt van Schurman meist über briefliche Korrespondenz Kontakt. (Elisabeth von der Pfalz, Bathsua Makin, Dorothee Moore, Marie de Gournay). Zeugnisse davon wurden teilweise in einer mehrmals aufgelegten Werksammlung publiziert, die unter dem Titel Opuscula Hebraea, Graeca, Latina, Gallica erschien. Sie wurde in drei Auflagen veröffentlicht: Zunächst im Leiden beim renommierten Verlagshaus Elzevier 1648 und 1650 sowie später in Utrecht 1652; eine postume Ausgabe erschien in  Leipzig 1749.

 

Rückzug in die Sekte des Jean de Labadie

 

Ab etwa 1650 zog sich van Schurman aus der Öffentlichkeit zurück und widmete sich verstärkt der Ausübung und kritischen Reflexion ihres calvinistischen Glaubens. 1666 schloss sie sich dem frühpietistisch inspirierten Religionsreformer Jean de Labadie (1610-1674) an, mit dessen Sekte, die immer wieder mit den verschiedenen Obrigkeiten in Konflikt geriet, sie ein Wanderleben durch die Niederlande und Deutschland führte. Diesen radikalen Schnitt in ihrem Leben - von der gefeierten Gelehrten zur theologischen Außenseiterin - begründete van Schurman ausführlich in ihrer Autobiografie Eukleria seu melioris partis electio. Sie wurde in zwei Teilen (Altona 1673 und Amsterdam 1685), teilweise erst nach ihrem Tod, publiziert. Eine anonyme deutsche Übersetzung erschien 1783. Auf Gut Walta bei Wieuwerd in Friesland, wo die Labadisten 1675 Zuflucht fanden, starb van Schurman, bis zuletzt schriftstellerisch aktiv, am 4. Mai 1678.

 

Bildquelle: www.uni-mannheim.de/mateo/desbillons/opus.html